chhoti 2007

30.1.17 Chhoti, ein kleines indisches Mädchen wird von ihren Eltern verstoßen und für wenig Geld einem Schlepper überlassen, der die Kleine mit Profit an einen skrupellosen Arbeitgeber in Jharkhand verkauft. Als Hausmädchen verrichtet sie bei ihm jahrelang harte körperliche Arbeit ohne jemals auch nur eine Rupie als Lohn zu erhalten. Eines Tages wird Chhoti ein zweites mal ausgesetzt. Sie ist ihrem Arbeitgeber zu groß geworden und ist als Kinderarbeiterin fortan unerwünscht. Alleingelassen und völlig mittellos besteigt die Zwölfjährige einen Zug nach Mumbai. Dort schlägt sie sich wochenlang auf den Straßen herum, bevor sie vor einer Schule, um Arbeit und Unterkunft flehend, von einer mitfühlenden Dame aufgelesen und zu Schwester Patricia in die Garden School gebracht wird. Heute lebt Chhoti im Waisenheim Prem Dans, ihrem ersten sicheren Zuhause. Die Geschichte Chotis ist beispielhaft für das Schicksal von vielen Millionen Kindern, die in Indien unter unmenschlichen Bedingungen als Kindrarbeiter ausgebeutet werden. Die wenigsten enden so glücklich wie die von Choti.

Szenenwechsel:

nov-2007-kinderarbeit-junge kopieEin 11-jähriger Junge kauert mit zahlreichen Gleichaltrigen in gebückter Haltung auf dem Boden einer Slumhütte in Neu Delhi. Die Kinder nähen Perlen auf eine weiße Mädchenbluse nov-2007-kinderarbeit-junge kopie.jpgmit aufgedruckten Schneeflocken. Im Etikett des Shirts, welches für das Vorweihnachtsgeschäft produziert wird, ist der Name einer amerikanischen Bekleidungskette zu lesen (WDR Reportage 29.10.07). An einem anderen Ort in Indiens Haupstadt: zusammengedrängt in einem kleinen stickigen Raum besticken Kinder Blusen, die später in Deutschland für 25,95 Euro in verkauft werden (Stern 24/2007). Mohammed, einer der Kinder, klagt darüber in letzter Zeit bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten zu müssen, damit die Aufträge pünktlich erledigt werden.

Wir könnten Ihnen an dieser Stelle noch viele weitere Szenen aus Fernseh-reportagen und Nachrichten- und Internetmagazinen der letzten Monate schildern. Den Bildern ist eines gemein. Sie zeigen, dass Kinderarbeit in Indien auch heute noch alltäglich ist. Warum ist das so? Helfen etwa Boykotte, ernstgemeinte Selbstverpflichtungen westlicher Unternehmen und indische Gesetze nicht weiter? Warum führt Indiens Wirtschaftsboom nicht zu sinkender Kinderarbeit? Wo liegen die Ursachen und welche Strategien sind nötig um Kinderarbeit wirksam einzudämmen?

Zunächst ein paar Zahlen:

Das Kinderhilfswerk UNICEF geht heute von ca.35 Millionen indischer Kinderarbeiter aus. Terre des Hommes schätzt, dass allein die Zahl der Mädchen, die nicht zur Schule gehen und arbeiten bei 40 Millionen liegt. Inoffizielle Schätzungen vermuten eine noch weit höhere Anzahl. Ein Aktivist der Organisation Global March against Child Labour spricht von vermutlich 10 Millionen Kinder, die als Kindersklaven unter schlimmsten Lebensbedingungen gehalten werden.

Die unterschiedlichen Zahlen zeigen, dass das Ausmaß der Kinderarbeit von den Experten unterschiedlich eingeschätzt wird und differenziert betrachtet werden muss. Nicht jedes Kind, das arbeitet, wird auch ausgebeutet. Nicht jede Form der Kinderarbeit muss bekämpft werden. Die Mitarbeit von Kindern ist auch bei uns ein Teil der Erziehung. Kinder lernen mit zunehmenden Fertigkeiten Verantwortung zu übernehmen, durch eigenes Einkommen aus Ferienjobs ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu erlangen. In Berufspraktika wachsen Jugendliche in ihre spätere Rolle hinein. Allerdings darf Kinderarbeit niemals in Ausbeutung münden oder Kindern die Chance nehmen zur Schule zu gehen.

Kinderarbeit, die gegen Menschenrechte verstößt und Kindern die Chance auf eine kindgerechte Entwicklung nimmt, ist auch nach der indischen Verfassung von 1950 und dem spiegel-kinderarbeit pcschrottboy kopie.jpgBonded Labour System (1976), welches Schuldknechtschaft verbietet, illegal und dennoch: Millionen von Kindern arbeiten im informellen Sektor. Sie nähen Kleider, pflücken Baumwolle, verrichten als Dienstmädchen Hausarbeit, schleppen Steine auf Baustellen oder verrichten Schwerstarbeit in Werften. Stundenlange, monotone oder schwere körperliche Arbeit gefährdet nicht nur die Gesundheit der Heranwachsenden. Sie hat schwere emotionale, seelische und soziale Folgen und widerspricht den Kinderrechten auf Gesundheit und Bildung.

Kinderarbeit ist immer Handarbeit. Was nicht maschinell herzustellen ist lässt sich von Kindern kostengünstig produzieren. Kinder sind willig, billig und wehrlos. Kinder wie Mohammed, die nicht selten 12 Stunden und mehr am Tag schufften, sehen für ihre Arbeit oft nur ein Fünftel dessen, was ein Erwachsener verdienen würde.

Kindersklavenarbeit ist trotz des offiziellen Verbots in vielen Slums Indiens auf Schritt und Tritt zu finden. Wie kommt es, dass trotz der Gesetzeslage, trotz strenger Kontrollen, Bilder von Kinderarbeitern in Steinbrüchen und Textilfabriken regelmäßig für tiefe Betroffenheit sorgen?

Zunächst sind es wirtschaftliche Gründe die zu Kinderarbeit führen. Kinder sind billige Arbeitskräfte. Dabei geraten auch westlicher Firmen immer wieder in den Fokus. Diese kontrollieren zwar die Produktionsstandards der lokalen Partner, sind jedoch in den Fällen machtlos, in denen indische Produzenten Teile ihrer Fertigung an Subunternehmer vergeben. Wenn man nicht viel mehr als eine Slumhütte oder einen Hinterhof vollbepackt mit Kindern braucht um ordentlich Profit zu machen, ist es beinahe unmöglich Kinderarbeit zu unterbinden. Outsourcing auf indisch…

Ein weiterer begünstigender Faktor ist die enorme Armut. Zwei von drei Indern leben auchindien_kinder_schuften kopie.jpg heute noch von der Hand in den Mund. Die Familien sind für das tägliche Überleben auf die Mitarbeit von Kindern angewiesen. Auch geben verarmte Eltern nicht selten ihre Kinder in die Hände zweifelhafter Schlepper, die ihnen die Kinder unter falschen Versprechungen für zehn bis 20 Euro abkaufen. Vor allem Mädchen sind hiervon betroffen. Hunderttausende landen so als Hausarbeiterinnen in reichen Haushalten oder enden schlimmstenfalls als Prostituierte in Großstadtbordellen. Die bewegende Geschichte von Chhoti aus dem letzten Rundschreiben Schwester Patricias zeugt von dieser Praxis.

Neben Armut und Profitgier, die weltweit zu den Hauptursachen von Kinderarbeit zählen, tragen auch das indische Kastensystem und gesellschaftliche Traditionen ganz entscheidend dazu bei.

An dieser Stelle kommt ein weiterer, zu Kinderarbeit beitragender Faktor ins Spiel.

40% der Schulkinder verlässt die Schule vor dem 5.Schuljahr. Laut einer Studie der UNESCO fehlen etwa 100.000 Grundschulen in Indien.Das in der Verfassung verankerte Recht auf Grundbildung ist bislang nicht umgesetzt. So verwundert es nicht, dass nahezu jedes zweite Mädchen weder lesen noch schreiben kann und schon als Zehn- bis Zwölfjährige zum Überleben der Famile beitragen muss. Auf diesem Sektor wäre entschlossenes Handeln durch den Staat gefragt. Bildungsprogramme wie Prem Dan sind hier nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Insbesondere auf dem Land ist die Lage dramatisch. Die Kinder aus den ärmsten Dörfern sind von Kinderarbeit und dem sklavenähnlichen Verkauf durch ihre Eltern am stärksten betroffen. Ein Teufelskreis.

Kinderarbeit nachhaltig zu bekämpfen erfordert also auf vielen Sektoren entschlossenes und mutiges Handeln. Hierzu gehört sicherlich auch unsere westlichen Konsumgewohnheiten. Sie werden durch Reportagen wie die im Stern oder im WDR beeinflusst. Letztendlich hängt der Erfolg aber maßgeblich von einem Wandel der indischen Politik und Gesellschaft ab. Ausbeuterische Kinderarbeit zu ächten, durch Bildungsprogramme langfristig Armut zu bekämpfen, die Nutznießer von Kinderarbeit konsequent zur Rechenschaft zu ziehen und Kinder als vollwertigen Teil der Gesellschaft anzuerkennen, ist für die Zukunft Indiens und das Schicksal indischer Kinder von entscheidender Bedeutung.

Geschichten wie die von Prem Dans Chhoti enden leider nicht immer märchenhaft mit einem Happy END.

Kinderarbeit

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